Ich kündige.

Stell Dir vor Du schließt eine Versicherung ab und zahlst in rund zwanzig Berufsjahren monatlich zwischen 6,5 und 2,4% Deines Gehalts in diese Police ein. Zwei Jahrzehnte später erhältst Du dann die “Zuteilung” und bekommst: nichts!

Diese Versicherung heißt in meinem Fall “Arbeitslosenversicherung”. Schon seit meinem Studium bin ich sozialversicherungspflichtig tätig. Mein erster Versicherungsausweis ist im Jahr 2002 ausgestellt worden — vor 19 Jahren.

Durch die Trennung vom Vater meiner damals 10 Monate alten Tochter geriet mein Leben finanziell in eine Schieflage. Um meinen Lebensstandard trotz der Betreuung eines Kleinkindes einigermaßen halten zu können, musste — neben Kindergeld und Mindestunterhalt für meine Tochter — ein ausreichendes Netto her.

Ich entschied mich für einen Teilzeitjob mit erst einmal 20 Stunden pro Woche. Und zusätzlich für einen Minijob. Dieser spülte die letzten 450 Euro netto auf mein Girokonto, die ich zwingend für Miete, Neben- und Energiekosten sowie für alle anderen Ausgaben brauchte. Nur zur Einordnung: Ich hatte nun gemeinsam mit meiner Tochter immer noch rund 600 Euro weniger zur Verfügung, als ich vor der Schwangerschaft für mich alleine hatte.

Mein Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2019 lief Anfang 2021 aus. Verlängert wurde er nicht. Nun hieß es also: Ab zur Agentur für Arbeit.

Als ich einige Wochen später meinen Bescheid in Händen hielt, fühlte ich mich ohnmächtig. Ich erhielt einen Betrag, der mit knapp 100 Euro deutlich unter der Hartz-IV-Grenze lag.

Was war passiert?

Die Berechnungsgrundlage für Arbeitslosengeld gilt aktuell wie folgt:

Es wird das Brutto-Einkommen pro Tag der letzten 12 Monate berechnet. Davon werden 20 Prozent für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und einen Pauschalbetrag für die Sozialversicherung abgezogen. Das Ergebnis ist das Netto-Entgelt pro Tag. 60 Prozent dieses Netto-Entgelts (für Eltern 67 Prozent) sind der Betrag, den Arbeitslose pro Tag erhalten. Mini-Jobs fallen aus dieser Berechnung heraus. Sie sind nicht sozialversicherungspflichtig und werden nicht angerechnet.

Ich bekam also 67 Prozent meines Gehalts des 20 Stunden-Jobs — und war unmittelbar mit dem Beschäftigungsende trotz lebenslanger Berufstätigkeit plötzlich arm.

Nun durfte ich natürlich entweder mit Hartz-IV auf die Höhe der sogenannten Grundsicherung aufstocken oder aber Wohngeld beantragen. Beide Antragsverfahren bedeuten ziemlich viel Aufwand und ein “völliges Blankziehen” vor Ämtern und/oder Vermietern. Und auch hier noch einmal zur Einordnung: Hätte ich nie gearbeitet, hätte ich nur einen Antrag stellen müssen, nämlich den für Hartz-IV. Ich wäre unterm Strich also aktuell tatsächlich besser beraten gewesen, wenn ich nie gearbeitet hätte.

Liebe Arbeitslosenversicherung, ich kündige! Denn: Euer Modell funktioniert so nicht. Nicht für Menschen in meiner Lebenssituation. Nicht für Frauen, die alleinerziehend aus einer Teilzeitbeschäftigung heraus arbeitslos werden.

Mein Kind und ich waren plötzlich arm — von heute auf morgen. Aus dem nichts.

Im Internet finde ich bei Wikipedia übrigens folgenden Eintrag: “Ziel der Arbeitslosenversicherung ist es, Menschen in Arbeitslosigkeit finanziell abzusichern.” Dies hat in unserem Fall definitiv nicht funktioniert.

Liebe Arbeitslosenversicherung, ich kündige!

Wir haben diesen Text parallel zur Veröffentlichung auch an die Pressestelle der Agentur für Arbeit geschickt und um eine Stellungnahme gebeten. Ihr bekommt natürlich ein Update, falls wir eine Antwort bekommen.

Mehr zum Thema “Armutsrisiko Alleinerziehendsein” findet Ihr auch in dieser Studie der Bertelsmann Stiftung.

Die erste Antwort der Agentur für Arbeit ist da:

Sie fragen in Ihrer E-Mail mit Blick auf die von Ihnen im Internet bei „Solomüttern“ berichteten Umstände, ob es eine „Härtefallregelung“ gebe für den Fall, dass durch das Arbeitslosengeld das Existenzminimum nicht gesichert ist. Es gibt eine gesetzliche Regelung, die in diesem Fall greift.

Diese Regelung ist durch das Sozialgesetzbuch II festgelegt. Sollte ein erworbener Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht zur Existenzsicherung ausreichen, kann aufstockend die Grundsicherung einspringen. Durch das Sozialgesetzbuch II ist es vorgesehen, dass dieser Anspruch auf Aufstockung des Arbeitslosengeldes durch Arbeitslosengeld II (also die Grundsicherung im SGB II) zwingend besteht. Sie haben diese gesetzliche Regelung, mit der im Falle existentieller Hilfebedürftigkeit („Härtefall“) gehandelt werden soll, bereits selbst beschrieben. Dieser Aufschlag ist steuerfinanziert. Mit ihm wird in jedem einzelnen Fall die schwierige individuelle Situation anerkannt und er wird individuell, je nach individuellem Bedarf berechnet.

Damit erschöpfen sich Ihre Rechte nicht. Sie haben nicht nur Anrecht auf den Bezug bestimmter Geldleistungen. Ihnen stehen darüber weitere Unterstützungsleistungen zu. Zwei wichtige Beispiele möchte ich nennen. Im Falle zum Beispiel arbeitsloser Menschen ohne Ausbildung, die in der Regel eher schlecht bezahlte, den Lebensunterhalt etwa einer Familien kaum abdeckende Jobangebote in Aussicht haben, gibt es das Angebot der finanzierten Qualifizierung. Das Spektrum der Unterstützungsangebote neben der individuellen Beratung und Begleitung durch eine Beratungsfachkraft reicht von unterschiedlichsten Trainingsangeboten bis hin zu Qualifizierungsmaßnahmen, die berufsbezogene Inhalte vermitteln, Teilqualifizierungen bis hin zu bis hin zu Abschlüssen durch eine verkürzte Ausbildung. Besondere Angebote gibt es für Menschen mit Erziehungsaufgaben, zum Beispiel die Möglichkeit, Ausbildung oder Qualifizierung in Teilzeit zu absolvieren.

Ein weiteres Angebot der Bundesagentur für Arbeit ist die Berufsberatung im Erwerbsleben. In ihrem Zentrum steht die Beratung, wie nachhaltig eine individuell erfolgreiche berufliche Perspektive gefunden werden kann. Auch hier kann es um Fort- und Weiterbildung, also um Qualifizierung gehen, aber auch um eine berufliche Neuorientierung oder ein individuelles „Matching“, also eine individuelle Vermittlung, die besonders die private Situation etwa des erziehenden Elternteils berücksichtigt. Das Angebot der Berufsberatung im Erwerbsleben geht über die Beratung der Arbeitsvermittlung hinaus.

Was uns wichtig ist, ist auch, dass im Bereich der Grundsicherung die Jobcenter in vielen Fällen die Rolle der Kümmerer und Lotsinnen übernehmen. Gerade für Menschen mit Erziehungsaufgaben, die Kundinnen und Kunden der Jobcenter sind, ist die Organisation von Kinderbetreuung, die Koordination der unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten oder auch einfach die Hilfe bei der Kommunikation mit anderen Behörden eine wichtige Unterstützung.

Sie beschreiben zudem, dass Ihnen der Schritt, Ihren gesetzlichen Anspruch insbesondere auf Arbeitslosengeld II geltend zu machen, aufgrund der bürokratisch hohen Hürde nicht leicht fällt. Diese Schwierigkeit sehen die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter auch. Deshalb setzen wir uns bereits seit einigen Jahren beim deutschen Bundestag und der Bundesregierung für eine Vereinfachung des Sozialgesetzbuches II ein, das die Regeln für die Grundsicherung festgelegt.

Wir sind mit der Antwort jedoch inhaltlich nicht zufrieden, weil diese lediglich erklärt, was wir schon wissen. Deshalb hoffen wir auf eine zweite Rückmeldung. Was meint Ihr? Kommentiert gerne bei Instagram.

Von Sara Buschmann